Pfingstsonntag
Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes. Bei mir hat es ein bisschen gedauert, bis ich damit wirklich warm geworden bin. In meiner Biographie standen die Jesus-Feste im Kirchenjahr lange Zeit im Vordergrund. An Weihnachten und Osten weiß man, was man hat. Da feiern wir die Geburt Jesu und die Auferstehung Jesu.
Es ist nicht verwunderlich, dass von diesen beiden Festen wohl das Weihnachtsfest das populärere ist. Die Geburt des Kindes im Stall von Bethlehem ist anschaulich und sehr viele Menschen können nicht nur diese Geschichte nacherzählen, sondern auch eigene Geburtsgeschichten erzählen. Das macht das Weihnachtsfest so stark.
Bei den Ostergeschichten sieht es schon ein bisschen anders aus. Die Evangelisten haben sich wirklich alle Mühe gegeben, uns eine gute Geschichte an die Hand zu geben mit der Erzählung vom leeren Grab. Diese Erzählung bleibt aber letztlich unanschaulich. Nichts entspricht ihr in der Welt unserer Erfahrung. Sie wird bis heute leidenschaftlich kritisiert und genauso leidenschaftlich verteidigt. Das macht sie so einzigartig und unvergesslich.
Aber Pfingsten? Schon die Erzählung von der Ausgießung des Heiligen Geistes aus der Apostelgeschichte, die wir eben gehört haben, hinterlässt mehr Fragezeichen als alles andere. Ein Brausen vom Himmel, ein gewaltiger Sturm, zerteilte Zungen wie von Feuer, fremde Sprachen, die zu eigenen werden. Von den Augenzeugen wird erzählt: „Sie … waren ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden?“ (Apg 2,12) Das klingt fast wie ein zeitgenössischer Kommentar: Was will das werden? Was soll das?
Ich finde, das ist eine wirklich gute Frage. Was soll das eigentlich mit diesem Pfingstfest und mit diesem Geist?
Im Johannesevangelium lesen wir die Abschiedsreden Jesu. Es sind Reden Jesu an seine Jünger, in denen er sie vorbereitet auf seinen Tod und die Zeit danach. Ich lese aus Joh 14, die Verse 15-19 und 23b-27. Christus spricht:
15 Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. 16 Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: 17 den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. 18 Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. 19 Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben. Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. 24 Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat. 25 Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin. 26 Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. 27 Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht. (Lutherbibel 2017)
Jesus bereitet die Jünger auf seinen Tod und die Zeit danach vor. Seine wichtigste Botschaft lautet: Ihr werdet nicht allein sein. So wie ich jetzt bei euch bin, so wird dann der Geist bei euch sein. Und dieser Geist, der wird euch nichts anderen sagen als ich selbst, „der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“.
Das klingt zunächst einmal gut, aber auch ein bisschen mechanisch. Danach könnte man sich den Geist fast wie ein Diktiergerät vorstellen, das einfach nur wiedergibt, was Jesus ohnehin schon gesagt hat. Außerdem haben wir ja heute auch noch die Evangelien, die viele Worte von Jesus enthalten. Wofür braucht es dann also wirklich noch den Geist? Mir hilft bei dieser Frage eine Beobachtung aus dem Alltag, die mit Gott und Jesus zunächst einmal gar nichts zu tun hat.
Seit einiger Zeit fällt mir auf, dass viele Teenager, aber auch manche Erwachsene, sich in Alltagssituationen oft bewegen wie auf einem Laufsteg. Sie kennen bestimmt diese ausdrucksstarke, deutlich artikulierte, aber auch etwas künstliche Art der Bewegung beim Gehen. Man erkennt es sofort, wenn man es sieht. Derjenige oder diejenige läuft jetzt gerade über einen Laufsteg, den nur er oder sie sieht. Jeder Gehweg kann zum Laufsteg werden, ob an der Heinrichstraße oder an der Grafenberger Allee, erst recht auf der Königsallee, ganz egal wo. Am Anfang habe ich mich immer wieder gefragt: Woher kommt das eigentlich, dass diese besondere Art des Gehens so weit verbreitet ist?
Bis mir klargeworden ist, was die absolute Lieblingssendung unserer Konfirmandinnen und Konfirmanden ist. Sie ahnen es: Eine Model-Show im Privatfernsehen, moderiert von einer lokalen Weltberühmtheit, die Sie alle schon einmal auf irgendeinem Illustrierten-Cover oder im Fernsehen gesehen haben. Warum erzähle ich das?
Weil ich es sich um eine Wirkung des Geistes handelt. In diesem Falle nicht des Heiligen Geistes, sondern des Heidi-Geistes. Ich laufe wie ein Model und sehe dabei gut aus, diese Handlungsanweisung löst im Körper von Teenagern entsprechende Bewegungen aus. Es handelt sich um ein Bewegungsschema, das durch Vorbild und Nachahmung entsteht und jederzeit und an jedem Ort von jeder Person aktualisiert werden kann. Auch du kannst laufen wie ein Model, wenn du nur willst, lautet der Imperativ des Geistes mit der quietschenden Stimme.
Wir lernen daraus, dass Geist eine Macht ist. Eine Macht, die zwischen Menschen herrscht, und zwar nicht nur in ihren Köpfen und Herzen, sondern in ihren Körpern, bis in die kleinsten Bewegungsabläufe. Wir denken bei Geist oft an etwas Geistiges, irgendwie Ätherisches. An etwas nur sachte vor sich hin Flimmerndes, das wir wie ein kleines Flämmchen beschützen müssten. Oder wir denken an etwas rein Intellektuelles, das sich nur über den Verstand erschließt. Das biblische Wort „Geist“ meint tatsächliches etwas anderes. Denken Sie dabei an so etwas wie diese Kraft, die Teenager wie Models laufen lässt, dann gewinnen Sie eine Vorstellung davon, wie mächtig Geist wirkt. Geist ist wie ein Sturm, wie ein mächtiges Brausen. Und Sie gewinnen eine Vorstellung davon, wo der Geist wirkt, nämlich im Körper. Im Leib, wie man früher sagte.
Nun gehört es zu den wichtigsten Gaben in der Gemeinde, die Geister zu unterscheiden. Und darum möchte ich deutlich festhalten:
Der Geist von Heidi ist nicht der Geist von Jesus!
Denn der erstgenannte lässt zwar junge Menschen laufen wie Puppen, stört aber auch das Verhältnis zu ihrem eigenen Körper, macht sie zu Objekten eines Marktes.
Der Geist von Jesus hingegen bringt Menschen zu sich selbst!
Dieser Geist hilft ihnen, sich selbst anzunehmen, in ihrer Schönheit und in ihrer Schwäche, mit ihren Stärken und mit ihren Fehlern.
Der Geist Jesu schenkt Wahrheit über Gott und die Welt.
Dass wir Geschöpfe der unendlichen, nie versiegenden Liebe sind, die wir Gott nennen.
Dass wir sterben müssen und gerade so Hoffnung auf Leben haben dürfen.
Dass wir korrumpierbar und manchmal böse sind, aber gerade so auch fähig zur Vergebung und zum Guten.
Der Geist Jesu weht zwischen Menschen, wo er will.
Wo er aber weht, da weht er mächtig wie ein Sturm und intensiv wie ein Feuer. Und darum ist auch er alles andere als ein zartes Flämmchen, das wir ängstlich beschützen müssten.
Im Gegenteil: Wo er lehrt und erinnert, da wird die Stimme Jesu lebendig zwischen uns und da wird dann er selbst sichtbar in unseren Körpern.
Wir verkörpern ihn und werden so selbst miteinander zum Leib Christi.
„Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr“, spricht Jesus zu seinen Jüngern, „ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.“
Wenn der Geist Gottes – der kein anderer als der Geist Jesu ist – wenn der Geist Euch formt, dann seht Ihr ihn!
Denn dann verkörpert Ihr ihn mit Eurem ganzen Leben!
Und wo das geschieht, da wird Kirche geboren. Nicht damals vor langer Zeit, sondern heute.
Geburtstag der Kirche gibt es immer nur im Hier und Jetzt, nicht als Erinnerung an längst vergangene Zeiten!
Was dann im Einzelnen unter uns geschieht, wenn der Geist unter uns wirkt, wenn Christus seine Stimme erhebt, wenn er unter uns lebendig wird und spricht, das kann keiner voraussagen.
Dennoch gibt uns die Rede Jesu Hinweise, in welche Richtung der Geist uns bewegt.
Wenn wir gleich zum Abendmahl gehen, dann müssen wir nicht im Gleichschritt gehen, weder wie die Models auf dem Laufsteg noch wie Soldaten aufs Schlachtfeld, sondern dann gehen wir, jeder für sich und doch gemeinsam.
Die Richtung heißt Frieden, Schalom.
Es geht um ein gutes Leben für alle Geschöpfe. Dahin sind wir unterwegs.
Es geht darum, dass wir uns keine Angst machen lassen, weder im Namen von Religion oder Politik, noch im Namen anderer Götter, wer sie auch sein mögen.
„Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“
Das also ist der Sinn von diesem Pfingstfest und von diesem Geist!