Als die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg den beim UN-Klimagipfel versammelten Staats- und Regierungschefs die Leviten gelesen hatte, ließ die Kritik nicht lange auf sich warten. Sie sehe wie ein sehr glückliches Mädchen aus, das in eine strahlende Zukunft blicke, spottete der US-Präsident über die 16-Jährige. Doch auch andere äußerten sich kritisch: Greta sei viel zu emotional, sie dränge sich als Person in den Vordergrund, sie sei ja im Übrigen auch krank.
Nun ist es natürlich schon so, dass Menschen, die vor den Vereinten Nationen eine Rede halten, kritisiert werden dürfen, ja sogar kritisiert werden müssen – auch wenn sie noch Jugendliche sind! Aber die Art und Weise der Kritik an Greta Thunberg ist schon auffällig. Es werden Klischees bemüht, die üblicherweise nicht gegen andere Personengruppen ins Feld geführt werden.
Ist es etwa nicht erlaubt, in einer politischen Rede Gefühle zu zeigen? Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass politische Debatten ansonsten in purer Sachlichkeit ablaufen. Insbesondere dann nicht, wenn sie sich auf kontroverse Themen beziehen (Stichwort „Brexit“).
Und ist es wirklich angemessen, Menschen wie Greta, bei der ein Asperger-Syndrom diagnostiziert wurde, von der politischen Bühne auszuschließen? (Ob es sich beim Asperger-Syndrom überhaupt um eine Krankheit handelt, ist übrigens medizinisch umstritten.)
Besonders bizarr finde ich aber die Meinung, die 16-jährige Greta stelle sich als Person zu sehr in den Mittelpunkt und verdecke damit das eigentliche Sachthema, den menschengemachten Klimawandel und seine Folgen für uns[1]. Üblicherweise gelten Personalisierungen als Königsweg in der politischen Kommunikation. Jeder Politiker, jede Politikerin versucht sich selbst als Marke bei den Wählern aufzubauen und versucht damit, als Person für ein bestimmtes Thema zu stehen.
Warum sollte Greta Thunberg das nicht tun? Weil sie jung ist? Weil sie noch nichts „Richtiges“ geleistet hat? Oder – schlimmer noch – weil sie ein Mädchen ist?
Mir scheint, in der Beurteilung von Greta Thunberg wirken sehr alte Bewertungsmuster eine Rolle, die ihren Ursprung zum Teil auch in christlichen Traditionen haben.
So gehörte es schon immer zum Herrschaftsinstrumentarium der Mächtigen, den Frauen und Mädchen, und natürlich den jungen Menschen ganz generell, Demut zu empfehlen. Leistet erstmal was, dann sehen wir weiter!
An dieser Wirkung ist der Predigttext für heute vermutlich nicht ganz unschuldig.
Im 1. Petrusbrief heißt es im fünften Kapitel:
5 Desgleichen ihr Jüngeren, ordnet euch den Ältesten (gr. Presbyter) unter. Alle aber miteinander bekleidet euch mit Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.
6 So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit.
7 Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.
8 Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.
9 Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass ebendieselben Leiden über eure Brüder und Schwestern in der Welt kommen.
10 Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.
11 Ihm sei die Macht in alle Ewigkeit! Amen.
(Lutherbibel 2017)
Es sind große Worte, mit denen der Verfasser des 1. Petrusbriefs hier hantiert, überdies verwendet er viele Reizwörter: Hochmut, Demut, die gewaltige Hand Gottes, der Teufel und die Macht.
Ich könnte jetzt verstehen, wenn sie sagen: Vielen Dank. Diesen Brief bitte ablegen und nicht wieder vorlegen. Trotzdem glaube ich, dass auch dieser Abschnitt eine zweite Chance verdient hat, eben weil Hochmut und Demut, Sorge und Macht zu unserem Leben dazugehören.
Schauen wir also nochmal genauer hin, was es mit der Demut auf sich hat.
Wenn die Mächtigen den Ohnmächtigen Demut empfehlen, dann ist Misstrauen angebracht. Dieses Misstrauen schlägt zurzeit den Amtsträgern der römisch-katholischen Hierarchie entgegen, wo sie Frauen am liebsten den Mund verbieten würden. Maria 2.0, eine freie Initiative von Frauen in der Katholischen Kirche, spricht demgegenüber offen von „männerbündischen Machtstrukturen“ und rief im Mai 2019 zum Kirchenstreik auf. Eine Woche lang hieß es: „Wir betreten keine Kirche mehr und tun keinen Dienst.“
Das hat sicherlich nichts mit mangelnder Demut zu tun.
Im Gegenteil: Wer sich aus alten Machtstrukturen befreien will, wer sich emanzipieren muss, weil es keinen anderen Weg mehr gibt als diesen, der muss im Wort Demut vor allem die Silbe Mut betonen.
Demut ist eine Form von Mut!
Das machen die Frauen von Maria 2.0 ganz deutlich, wenn sie sagen:
„Kämpfen wollen wir für uns und für unsere heranwachsenden Kinder und Enkelkinder! Kämpfen für einen Weg, der es uns und auch den nachfolgenden Generationen nicht nur erträglich macht, sondern sogar Freude, in dieser Kirche zu bleiben! … Damit es wieder um die Botschaft Jesu geht.“
Von diesem Reformeifer, um nicht zu sagen: von dieser Power! können wir uns auch in der Evangelischen Kirche noch etwas abschauen.
Demut ist eine Form von Mut. Ich denke, sie ist auch eine Form des Mutes, den wir Glauben nennen. Oder anders gesagt: Demut kommt aus dem Glauben.
Die Art und Weise, wie der 1. Petrusbrief diesen Gedanken zum Ausdruck bringt, ist für unsere Ohren heute schwer zu hören.
„So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes“, heißt es da.
In der Vergangenheit ist tatsächlich zu allgemein von der Allmacht Gottes gesprochen worden. Und ja, diese Rede ist auch immer wieder missbraucht worden für menschliche Machtinteressen. Dennoch ist es biblisch nicht angemessen, wenn wir uns Gott nur ohnmächtig vorstellen.
Gott als Schöpfer ist eine Macht. In Jesus Christus begegnet uns diese Macht als Liebe, als heilende Macht für die Kranken und Besorgten, für die Schuldigen und Verzweifelten.
Auf diese Macht kann und will ich nicht verzichten in dieser Welt. Und darum ist es ein zutiefst evangelischer Wunsch, ein froher und im besten Sinne frommer Wunsch zu sagen: „Ihm sei die Macht in alle Ewigkeit!“
Dieser Gott, der uns als Macht der Liebe begegnet, darf um des Menschen willen nicht ohnmächtig sein.
Und genau das meint Demut: Ich erkenne mich als Mensch, der angewiesen ist auf diese Kraft Gottes, die gerade in den Schwachen mächtig ist.[2]
Von daher wird dann auch deutlich, was Hochmut eigentlich ist.
Hochmut ist nicht so sehr etwas äußerliches, das sich an bestimmen Verhaltensweise oder Accessoires erkennen ließe. Ist jemand stolz oder selbstbewusst, so ist er nicht zwingend auch hochmütig.
Auch schöne Kleider oder goldene Uhren machen nicht von selbst hochmütig.
Hochmut ist vielmehr die Haltung, die sagt:
Ich brauche keinen Gott.
Ich habe dieses Leben selbst im Griff. Ich bestimme von Anfang bis Ende alles und lasse nichts gelten, was meiner Meinung widerspricht.
Nichts und niemand darf sich meiner Verfügungsgewalt entziehen.
Es ist solcher Hochmut, der dazu beiträgt, dass unsere politische Kultur in die Krise gerät. Wo nur noch Meinungen absolut aufeinanderprallen und nicht mehr das vermittelnde Argument gesucht wird, ist bald keine Verständigung mehr möglich.
Es ist solcher Hochmut, der Menschen zu zwanghaften Kontrolleuren ihres eigenen Lebens macht. Die Vorstellung, das eigene Leben sei nur so etwas wie das Rohmaterial für einen besonders gelungenen Auftritt auf der Weltbühne, treibt uns in die Sorge, genau diesen Auftritt zu vermasseln.
Es ist solcher Hochmut, der uns Raubbau treiben lässt an der Schöpfung, die eben nicht mehr geheiligt wird als Gottes Werk, sondern wiederum nur Rohmaterial ist für unsere Projekte.
Das Vertrackte an dieser Form von Hochmut ist, dass wir ihn gar nicht so einfach ablegen können. Es erfüllt uns mit Sorge, wenn wir unsere eigene Meinung nicht absolut setzen. Werden wir uns dann noch durchsetzen können? Es erfüllt uns mit Sorge, wenn wir zugeben, dass wir nicht die Kontrolle über unser Leben haben. Wird man uns dann noch ernstnehmen können?
Es erfüllt uns mit Sorge, wenn wir die Schöpfung in Ruhe lassen und uns in Verzicht üben. Werden wir am Ende etwas verpassen?
Weil wir so besorgt sind, darum ist der Kampf gegen den Hochmut nicht zu gewinnen. Es sei denn, wir glauben, wenn es heißt:
„Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“
Dieses Werfen der Sorgen erweist sich im echten Leben immer wieder als erstaunlich schwierig.
(„Du kannst die Sorgen nicht ertränken. Sie sind verdammt gute Schwimmer“, singt Jan Delay.[3])
Das Sorgenwerfen müssen wir darum immer wieder üben.
Am besten geht dies durch Beten.
Zum Beispiel mit diesen Worten:
„Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.“[4]
[1] Vgl. den Meinungsbeitrag von Alev Dogan: Die Klimabewegung schadet sich selbst. In: Rheinische Post vom 26.09.2019, S. A2.
[2] Vgl. 2 Kor 12,9.
[3] Jan Delay in seinem Song „Hoffnung“.
[4] Gelassenheitsgebet des US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr.